Unser Verständnis von Gewalt
In unserer Beratungsarbeit befassen wir uns vor allem mit verschiedenen Gewaltgeschehen, die alle eines gemeinsam haben: Sie stehen in engem Zusammenhang mit der sexuellen Orientierung und/oder der geschlechtlichen Identität der betroffenen Person. Wir unterscheiden zwischen:
- Körperlicher Gewalt wie z.B. Schlagen, Treten, Boxen, Schubsen usw.
- Psychischer Gewalt wie z.B. kontrollierende Verhaltensweisen, Demütigungen, Herabsetzungen
- Verbaler Gewalt wie z.B. Beleidigungen
- Sexualisierter Gewalt wie z.B. unerwünschtes Anfassen des Intimbereichs, anzügliche Bemerkungen, Vergewaltigung, unangemessenes Erfragen von geschlechtsangleichenden Operationen usw.
- Digitaler Gewalt (Hetze auf Facebook, Twitter, Unerwünschtes veröffentlichen von Fotos auf Instagram usw.)
Ein besonderer Schwerpunkt unserer Arbeit ist die Beratung und Begleitung von Frauen*, die Gewalt in ihren Intimpartner*innenschaften oder in ihren familiären Bezügen erleben: in einigen Fällen münden Konflikte in gewalttätigem Handeln, in einigen Fällen verfestigt sich die Gewaltdynamik, so dass sie die Beziehung gestaltet. Die sexuelle Orientierung oder die geschlechtliche Selbstbeschreibung stellt dabei einen spezifischen Vulnerabilitätsfaktor dar, der sich auch in der Prävalenz zeigt: Verschiedene anglo-amerikanische Studien legen nahe, dass cis-lesbische Frauen deutlich mehr Gewalt in ihren Beziehungen erleben als heterosexuelle Frauen. Bi+ Frauen* sind noch einmal deutlich häufiger als lesbische Frauen betroffen. Es gibt sehr wenige Informationen über die Gewalterfahrungen von trans* Frauen, unabhängig davon, ob sie sich als binär-trans oder trans* begreifen. Desgleichen gilt für nicht-binäre Frauen*, Frauen*, die sich als ACE beschreiben oder queere Frauen. Aus unserer Beratungserfahrung wissen wir jedoch, dass gewalttätige Verhaltenmuster auch in diesen Bezügen ein Thema ist – dem wir uns stellen.
Ein weiterer, nicht so einfach zu fassender Gewaltbereich ist die „strukturelle Gewalt“, die dann entsteht, wenn Menschen zielgerichtet und bewusst der Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen verwehrt wird. Allerdings gibt es hier große Überschneidungen mit unserer Definition von Diskriminierung. Wenn der verwehrte Zugang beispielsweise zu einem Gesundheitssystem schwerwiegende gesundheitliche Folgen nach sich zieht, sehen wir die Beschreibung als „Gewalt“ als angemessen an. Ein Beispiel: Trans*Personen wissen oftmals schon sehr lange um ihre Transgeschlechtlichkeit. Eine Begutachtung durch Andere, vermeintliche Expert*innen, verletzt das Recht auf sexuelle und geschlechtliche Selbstbestimmung und wird von transgeschlechtlichen Frauen oftmals als demütigend und entwürdigend wahrgenommen. Einige transgeschlechtliche Personen verüben Suizid ob der von ihnen wahrgenommenen hohen Hürden, in ihrem Zielgeschlecht leben zu können. Insofern können die strukturellen Rahmenbedingungen nach dem sog. Transsexuellengesetz als gewaltförmig beschrieben werden.
Manches Gewalterleben kann nur verzögert verarbeitet werden, spontane Erinnerungen können wie ein ungebetener Gast* auftauchen und das alltägliche Leben scheint nur noch schwer zu bewältigen zu sein. Hier können wir unterstützen und begleiten, sich wieder selbst zu ermächtigen und das eigene Leben wieder zu gestalten.